aggression versus gewalt

in den bereich gewalt gehört eine gewisse blindheit
gewalthandlungen in sozialen nahraum prägen
beziehungsqualitäten zwischen männern und frauen
ablösungsprozesse und das "schwert"
überforderungssituationen
in einem engen zusammenhang mit der aggression steht sexualität

aggression?man(n) und frau konnten sich bisher nicht auf eine definition für den begriff aggression einigen. er hat seinen etymologischen ursprung in aggredi (lat.) und bedeutet: auf etwas zu gehen, etwas in angriff nehmen.
damit ist aggression eine lebensnotwendige, existenz sichernde fähigkeit.

man(n) kann auf etwas zugehen, stehen bleiben, es betrachten, einschätzen und handeln. man(n) kann auch auf etwas zu rennen und es umrennen oder man(n) weiss: „ich kriege es sowieso nicht“ und weggehen. „die trauben sind sauer.“ sagte der fuchs, nachdem er vergeblich versucht hatte, sie zu erreichen.
die handlungsoption „etwas in angriff nehmen“ hat ebenfalls viele facetten. angreifen im sinne von berühren, anfassen oder angreifen im sinne von plattmachen, siegen, besiegen und verlieren. in aggredi steckt auch die option des festhaltens. (s. bilder)

zum themenkreis gewalt gehört eine gewisse blindheit, mit der unsere kultur die gewalt von jungen und männern betrachtet. gewalt ist ein männliches thema, opfer und täter sind zu etwa 60 % Männer. öffentliche gewalt, körperverletzung betrifft jungen. jeder dritte junge mann hat gewalt durch andere männer erlebt.
diese erfahrungen prägen das mannsein, die beziehungsqualitäten von männern in unserer kultur erheblich. dazu kommen die fehlenden väter und ein weiteres tabuthema, die gewalt von frauen und müttern gegen ihre kinder.
die in den medien neuerdings immer wieder auftauchenden kindstötungen, die unsere, ach so biedere gesellschaft einen aufschrei der empörung entlockt und gleichzeitig eine geilheit erzeugt: mehr, mehr ....verdeutlicht extreme. während eines seminars mit fachkräften der sozialen arbeit war es z.B. nicht möglich zu vermitteln, dass eine ohrfeige der mutter eine gewalthandlung ist: " aber wenn die mutter nun überlastet ist." war die antwort.

gewalthandlungen in sozialen nahraum prägen die beziehungsqualität, auf der kinder ihre späteren beziehungen aufbauen.
liebe wird mit gewalt verbunden, mit unterwerfung, anpassung, zerstörung, machtmissbrauch. sind jungen weniger schutzbedürftig als mädchen?
ein satz wie: "wenn du das jetzt nicht machst, habe ich dich nicht mehr lieb" ist auch gewalt. ein kind ist existentiell von dieser liebe abhängig.
unsere gesellschaft kommt aus dem krieg, aus diktaturen. es gibt keinen weg zum frieden, schon gar keinen waffengang, es gibt nur die entscheidung, im frieden leben zu wollen. dieser zustand ist weitgehend unbekannt: krieg, gewalt kommt alle halbe stunde aus dem radio, ist kontnuierlich aus dem fernseher abrufbar, bestimmt die kommerzielle welt.
im frieden leben bedeutet in einem gegenseitigen respekt zu handeln, in einem respekt gegenüber den eigenen wünschen und fähigkeiten und den wünschen und fähigkeiten der schöpfung. mit "schöpfung" meine ich nicht einen akt durch eine übernatürliche person, sondern eine entwicklung, die seit millionen jahren anhält, ein komplexes system von naturvorgängen und zusammenhängen, in dem sich alles entwickelt. schöpfung meint ein universelles wissen, dass in uns allen steckt, von dem wir alle ein teilchen sind. unsere heutige existenz ist ergebnis einer millionenjahre andauernden entwicklung. jeder mensch kann seinen stammbaum bis in die urzeit zurückverfogen. jedes blatt dieses stammbaumes ist ein teil von uns. frieden bedeutet, jedes blatt zu respektieren und sehr vorsichtig und umsichtig mit allem umzugehen. das kurzfristige denken unserer heutigen konsumgesellschaft ist teil dieses weges. der weg wird weiter gehen, unsere kinder und enkel werden die erben sein. frieden stellt sich in den alltäglichen handlungen dar: ein gutes essen kochen, mit den händen abwaschen, eine wiese mit der sense mähen, laub mit einem rechen zusammenharken, einem kind ein gutenachtlied singen, einen erfüllenden sex genießen, im rumtoben mit den kindern, im lachen und weinen und in einem respektvollen streit. in einem streit, in dem es um die sache geht und nicht darum, ob jemand recht hat, stecken die samen für frieden in beziehungen. es lohnt sich immer wieder, streiten zu lernen. es gehört zum leben dazu, wenn sich jeder selbst und den anderen ernst nimmt. konflikte sind so normal, wie die luft zum atmen. wirklich gelöste konflikt lassen den atem wieder frei fließen, lassen das wirkliche lachen wieder jubilieren. sie schaffen wärme und nähe - reibung schafft wärme. dann läßt sich das leben wieder tanzen.

im frieden geschehen wunder. so etwas zum beispiel:

beziehungsqualitäten zwischen männern und frauen und den generationen werden in einem bestimmten maße von grenzverwischungen bestimmt. ablösungen finden nicht oder nur unzureichend statt. gründe liegen in der vereinsamung, eineltern-kind-familien, zerstörte soziale netze durch die "globalisierung", kriegstraumata durch tod und vertreibung.
ablösungsprozesse sind lebensnotwendig, finden sie nicht statt, bleiben alle in einem schwellenraum gebannt.
zum thema der initiation findet sich hier ein eindrucksvolles afrikanisches märchen.

kinder benötigen auf der stufe zur pubertät ein instrument, um sich ablösen zu können, distanz herzustellen, eine entscheidung für ihr eigenes leben herbeiführen zu können. ein instrument ist das "innere schwert". es ist ein symbol der entscheidung, es kann scheiden zwischen gut und böse, zwischen freund und feind und es symbolisiert macht. es ist eine nahwaffe und ist damit nur in einer direkten begegnung und auseinandersetzung führbar. das symbol des schwertes steht für die fähigkeit, grenzen ziehen und bewahren zu können. selbstverständlich kann ein "schwert" auch verletzen und töten.

radierung eins 12 jährigen jungen

kinder, jungen und mädchen müssen lernen, ihr "inneres schwert" zu führen, um später als erwachsene dieses schwert nutzen zu können, um sich und ihre familie, die kinder zu beschützen. sie lernen entscheidungen zu treffen.
dieses lernen ist ein stetiger prozess. er beginnt nicht irgendwann, sondern ist eng verbunden mit dem entwickeln und wachsen des kindes.
er beginnt nach der geburt mit dem aufbau des urvertrauens. mit dem gefühl des behütetseins und des beschütztwerdens. fehlt dieses gefühl, müssen jungen und mädchen erfahren, dass sie vieles allein durchboxen müssen, dass sie sich allein in der aussenwelt behaupten müssen. „ich ruf gleich meinen papa“, (der ist gross und stark, der nimmt mich auf den arm und verhaut euch alle!) geht z.B. nicht, wenn papa nicht da ist oder arbeitet. dieses urvertrauen kann auch im weiteren leben erworben werden, wenn kinder erfahren, dass sie unterstützung für ihr eigenes selbst erhalten, für ihre ganz persönlichen entdeckungsreise in die welt. manche dieser reisen sind für erwachsene schlecht oder falsch oder zu gefährlich. für die kinder ist es möglicherweise genau die erfahrung, die sie brauchen. es ist eine gratwanderung der verantwortung. kinder können lernen, von anbeginn an, dass sie die verantwortung für ihr leben haben. sie haben die fähigkeit dazu. erwachsene müssen kinder auf gefahren hinweisen und zur not auch abwenden können.
doch ein kind ist überfordert, wenn es die aufgaben von erwachsenen lösen muss. dazu gehört der breite bereich der grenzverwischungen zwischen eltern und kindergenerationen. in meiner arbeit als einzelfallhelfer begegneten mir immer wieder mutter-sohn-beziehungen, in denen die söhne den männerpart übernommen hatten und übernehmen konnten. die verantwortung dafür liegt auf der seite der erwachsenen. die kinder entwickeln übermachtphantasien bzw. in dieser überforderung angst. sie wählen wege und auch „waffen“, die dieser angst und nicht der situation entsprechen. wenn ein kleiner jungen seine mutter beschützt, klingt dass möglicherweise lieb und tröstlich: „ach ist der süß!“ der junge meint es ernst, er baut sich pfeil und bogen. es ist ernster als es den anschein hat und eine überforderung. in der anti-gewalt-arbeit traf ich junge männer, die erfahren haben: ich besiege mit meiner eigenen kraft meinen gewalttätigen vater. die macht ihres schwertes ist durch diese erlebte gewalt möglicherweise vergiftet.
jungen und mädchen, die frühzeitig gewalt durch väter oder mütter erlebt haben, mussten sich entscheiden, ob sie selbst gewalt anwenden wollen, um ihre bedürfnisse durch zu setzen oder mit dem bewußtsein in der welt stehen: ich bin nicht wichtig, mir steht nichts zu. beides verhindert einen guten stand im leben. erwachsene haben die möglichkeit, diese standpunkte zu wandeln und sich wichtig zu nehmen. dazu müssen menschen sich von der kindheit ablösen und sich zwischen himmel und erde aufspannen.

kinder, die dieses "inneres schwert" errichten, finden zu ihrer eigenen kraft. sie können ihre bedürfnisse wahrnehmen und erfüllen und grenzen verteidigen. mütter und väter sollten den mut haben, ihre kinder dafür anzuerkennen, dass sie zu dieser kraft finden.

in einem engen zusammenhang mit der aggression steht sexualität.
menschen entwickeln sich in beziehungen. jungen und mädchen müssen auf einander zugehen, oder müssen jungen immer noch auf mädchen zu gehen? sie wollen ihre lust und neugier, ihre bedürfnisse in angriff nehmen. die jungen und mädchen wollen und müssen entscheidungen treffen, sie müssen grenzen sehen und beachten. sie müssen eigene grenzen erfahren und setzen und eigene und fremde grenzen überschreiten. erst anklopfen oder „einfach durch!“?
der ganze bereich des oben beschriebenen "aggredi" gilt auch für den bereich der geschlechterbegegnung und sexualität. aus unsicherheit werden grenzen übersprungen oder ein erfüllender kontakt kommt nicht zustande. der oder die angegriffene wird körperlich oder seelisch verletzt. der angreifer überschreitet möglicherweise eigene grenzen, weil es cliquenregeln oder eigene „leistungsanforderungen“ verlangen. der grenzverletzer oder die grenzverletzerin hat nicht gelernt den richtigen, für beide stimmigen abstand einzunehmen.

sexualität kann ähnlich wie aggression vergiftet sein. beides sind natürliche, lebensnotwendige wesenheiten und durch moral und religion stark reglementiert.