In meiner Arbeit als Einzelfallhelfer begleitete ich einen siebenjährigen Jungen. Er lebte ohne seinen Vater, seine Mutter war vollständig überfordert. Ihm war ADHS bescheinigt worden.
Zu Beginn der Arbeit konnte er innerhalb von Sekunden das Büro verwüsten, allerdings immer dann, wenn er die Aufforderung bekam, aufzuräumen, verbunden mit der Information: Für uns beide ist jetzt Schluss, ich bringe Dich nach Hause. Diese Schlusssequenzen waren anfänglich Stress pur. Dann habe ich ihn mir irgendwann einfach auf die Schulter geladen und bin mit ihm nach Hause gegangen.
Er wehrte sich heftig. Glücklicherweise bin ich kräftig genug, um dass auszuhalten. Am nächsten Tag das gleiche. Dann war bei ihm angekommen, dass ich für ihn da bin, dass ich seine Beziehungsangebote aushalte und Grenzen ziehe.
Ab diesem Tag konnten wir in Ruhe spielen, es war nichts zu spüren von ADHS... Er bekam ja meine Aufmerksamkeit.

In der folgenden Zeit musste ich ihn im Spiel immer wieder retten und er erzählte Geschichten. Als wir an einem Bach vorbeigingen, entwickelte sich folgendes Gespräch:
•  Ich habe mir mal an dem See die Füße aufgeschnitten.
•  Gibt es dort einen See?
•  Nein, in dem Bach, .... ich bin 5 Milimeter reingegangen und dann fiel eine große Scherbe von oben runter und hat mein Herz getroffen. Sie blieb in meinem Herzen stecken. Ich habe sie dann rausgenommen und es wieder zugenäht.
•  Es tat wohl weh?
•  Ja.
•  Es wird wohl noch oft wehtun und lange Zeit brauchen, bis es wieder heil ist?
•  Dann kam mal ein Stein geflogen, auch er hat mich am Herz getroffen, und die Wunde wieder aufgerissen, ich habe dann mit einer Hand alles zugehalten und es zugenäht. Dann habe ich die Nadel abgeschnitten.
•  Den Faden! Ach nein, klar die Nadel!
•  Und dann kamen wieder Steine und haben es wieder aufgerissen.
•  Es kamen wohl schon viele Steine geflogen?
•  Ja, fünf mal am Tag.